Ausrichtung der Oberfräse beim Führen an einem Führungslineal

Von der Bohrmaschine bis zur Oberfäse - Testberichte, Vorstellung, Besprechung
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Heike
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Ausrichtung der Oberfräse beim Führen an einem Führungslineal

Beitragvon Heike » Fr 29. Jul 2016, 22:44

Liebe Holzwürmer!

Ich nutze das Internet für den Erfahrungsaustausch erst seit Anfang des Jahres und wundere mich seitdem über eine Beobachtung, die ich immer wieder mache.
Bei Fräsungen in der Fläche muss man ja keine Führungsschiene benutzen, sondern kann sich mit einem Führungslineal als Anschlag begnügen. Auf Bildern und Videos sehe ich dabei immer, dass die Oberfräse mit der geraden Seite an dem Führungslineal entlanggeführt wird. So zeigt es unter anderem Guido Henn in seinem Oberfräsen-Buch auf Seite 71 und bemerkt dazu, die Fräse sei so nur schlecht zu führen (was ich auch so empfinde). Das sieht dann ungefähr so aus:
P1040091.JPG


Mich wundert diese Art der Führung.

Als ich vor ewig langer Zeit einen Wochenend-Kursus zum Umgang mit der Oberfräse besucht habe, hat uns der Tischlermeister erklärt, dass die runden Seiten nicht einfach irgendwie rund sind, sondern dass sie einen Kreisbogen bilden mit dem Fräser als Mittelpunkt. So sei das vom Erfinder der Fräse konstruiert worden, damit man die Fräse mit der runden Seite (!) am Anschlag entlang führen kann. Also so:
P1040092.JPG


Das mag auf den ersten Blick seltsam aussehen und man könnte denken, so sei keine gerade Fräsung hinzubekommen, weil der Fräser auf dem Werkstück herumtorkele. Das wäre aber falsch gedacht. Der Fräser torkelt nicht, sondern läuft exakt parallel zum Anschlag. Denn weil der Abstand von jedem Punkt des Kreisbogens zum Mittelpunkt immer gleich ist, kommt es nicht darauf an, ob die Achse der Fräse rechtwinklig zum Führungslineal steht. Man braucht nur darauf zu achten, dass die Fräse den Kontakt zum Lineal nicht verliert, was nicht schwer ist, weil schon die Bewegung des Fräsers die Fräse in Richtung des Anschlags zieht, so dass die Fräse das von alleine macht.

Es ist also egal, ob man die Fräse so hält
P1040100.JPG


oder so
P1040101.JPG


oder so
P1040102.JPG
.

Wenn man die Fräse so bewegt, ist sie überhaupt nicht mehr schlecht zu führen, sondern sie ist ganz im Gegenteil sehr leicht zu führen. Eigentlich braucht man so gut wie gar nichts zu tun. Man schiebt die Fräse einfach links vor sich her, ungefähr so, wie man ein Fahrrad schiebt, und drückt sie leicht gegen den Anschlag. Das ist von der Haltung her bequem, es geht schnell und man erhält eine gerade Linie.

Wer mag, kann auch an der anderen Seite des Anschlags mit einer ziehenden Bewegung arbeiten:
P1040103.JPG


Deshalb haben bei der DW 621 die Seiten unterschiedliche Radien – der Fräser sitzt ja nicht genau in der Mitte der Maschine, weshalb der Abstand von der Mitte zum Rand links und rechts verschieden ist:
P1040104.JPG


Ich habe das bislang immer so gemacht und für Fräsungen in der Brettfläche noch nie eine Führungsschiene oder selbstgebastelte Vorrichtungen benutzt – alles, was eine gerade Kante hat, kann als Anschlag eingesetzt werden.

Nun habe ich keinen vollständigen Überblick über alle am Markt erhältlichen Oberfräsen. Möglicherweise gibt es mittlerweile Modelle, bei denen die runden Seiten keinen solchen Kreisbogen bilden oder die schon gar keine runden Seiten haben. Ich kann aber versichern, dass jedenfalls die alte Elu OF 97, deren Nachbau DeWalt 621, die (grüne) Bosch POF 1100 (vermutlich auch alle anderen Bosch-Fräsen mit runder Laufsohle) sowie die Festool OF 1010 und 2200 sich so einsetzen lassen.

Gibt es einen besonderen Grund, warum heutzutage alle die Fräse an der gerade Seite ansetzen? Oder ist da einfach nur altes Wissen in Vergessenheit geraten?

Viele Grüße
Heike
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HolzwurmTom
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Re: Ausrichtung der Oberfräse beim Führen an einem Führungslineal

Beitragvon HolzwurmTom » Sa 30. Jul 2016, 00:12

Hallo Heike,

vielen Dank für Deinen ausführlichen Bericht. Das ist wirklich genial!
Ich muss sagen, das wusste ich noch nicht und Du kannst Dir sicher vorstellen, was ich morgen Vormittag mache?! :lol:

Viele Grüße

Thomas

Axel_MF
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Re: Ausrichtung der Oberfräse beim Führen an einem Führungslineal

Beitragvon Axel_MF » Sa 30. Jul 2016, 04:33

Hallo Heike,

super Tipp! War mir so noch nicht klar :) , wieder etwas gelernt.
Grüße aus Mittelfranken ;) ,

Axel

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Re: Ausrichtung der Oberfräse beim Führen an einem Führungslineal

Beitragvon michaelhild » Sa 30. Jul 2016, 09:30

Noch ein kleiner Hinweis, es am sichersten die Fräse leicht schräg noch vorne zu drücken.
So teilt sich die Führungskraft zum einen in den eigentlichen Vorschub und zum anderen (kleineren Anteil) in eine Kraft gegen das Lineal auf. So ist die Gefahr, dass sich (gerade bei Massivholz) die OF durch den Faserverlauf oder nen Ast oder sonst was etwas vom Anschlag entfernt und die Nut nen Buckel bekommt, recht gering.
Durch die Rotations- und Vorschubrichtung erzeugt die Fräse zwar selbst eine Kraft gegen das linksseitige (!!!) Lineal, die ist aber nicht so sonderlich groß.
Grüße
Micha

Was man tut, kann man auch gleich richtig machen.
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AlexG
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Re: Ausrichtung der Oberfräse beim Führen an einem Führungslineal

Beitragvon AlexG » Sa 30. Jul 2016, 09:41

Super. Danke für's teilen, Heike.

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Re: Ausrichtung der Oberfräse beim Führen an einem Führungslineal

Beitragvon Bavarian-Woodworker » Sa 30. Jul 2016, 22:52

Hallo Heike,

sehr schöner Bericht und tolle Bilder. Danke dafür.

Ich habe das bisher noch nie ausprobiert, weil mir das immer irgendwie wie ein Sakrileg vorgekommen ist, die OF frei an einer Alu-Leiste zu führen. Ich habe deshalb von meiner ersten Fräsung an mit einer Führungsschiene gearbeitet. Natürlich klingt es logisch, wie Du es beschreibst, trotzdem hätte ich da immer ein wenig Bammel, das mir die Fräse "abhaut". Ich werde es bei der nächst passenden Gelegenheit trotzdem probieren, weil ich es nur dann wirklich beurteilen kann.

Servus, der Lothar
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Re: Ausrichtung der Oberfräse beim Führen an einem Führungslineal

Beitragvon Heike » Sa 30. Jul 2016, 23:05

Hallo alle zusammen,

herzlichen Dank für die lobenden Worte!

Und, Lothar, nur Mut! Die Fräse haut nicht ab. Die läuft ganz brav an der Führung entlang. Selbst die ja doch recht durchzugsstarke Festool OF 2200 bleibt gehorsam in der Spur - bei der hatte ich beim ersten Mal auch etwas Bammel.

Viele Grüße
Heike

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Re: Ausrichtung der Oberfräse beim Führen an einem Führungslineal

Beitragvon michaelhild » So 31. Jul 2016, 08:54

Da spielt auch die Masse ne Rolle.
Bis die dicke 2200er aus dem Kurs geschoben wird, braucht es einiges. Das geht bei leichten Oberfräsen deutlich schneller.
Grüße
Micha

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Re: Ausrichtung der Oberfräse beim Führen an einem Führungslineal

Beitragvon oldtimer » So 31. Jul 2016, 11:07

michaelhild hat geschrieben:Noch ein kleiner Hinweis, es am sichersten die Fräse leicht schräg noch vorne zu drücken.
So teilt sich die Führungskraft zum einen in den eigentlichen Vorschub und zum anderen (kleineren Anteil) in eine Kraft gegen das Lineal auf. So ist die Gefahr, dass sich (gerade bei Massivholz) die OF durch den Faserverlauf oder nen Ast oder sonst was etwas vom Anschlag entfernt und die Nut nen Buckel bekommt, recht gering.
Durch die Rotations- und Vorschubrichtung erzeugt die Fräse zwar selbst eine Kraft gegen das linksseitige (!!!) Lineal, die ist aber nicht so sonderlich groß.



Hallo,

schöner Bericht von Heike.

Die von Michael beschrieben Vorgehensweise wird durch dieses Video verdeutlicht, ab 24.20

http://swrmediathek.de/player.htm?show= ... 26b975e0ea

Gruß
Volker

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Re: Ausrichtung der Oberfräse beim Führen an einem Führungslineal

Beitragvon Mario » So 31. Jul 2016, 11:22

Hallo Heike,
gut das Du das mal ansprichst. Ich denke, dass die meisten Leute das gar nicht wissen das es mit der runden statt der flachen Seite am Anschlag besser geht, und das es mit dem Fräser als Mittelpunkt einen Kreisbogen ergibt. Mit der flachen Seite kann man die Fräse auch eher verkannten und kommt somit weiter vom Anschlag weg, heißt Abstand stimmt nicht mehr. Ich habe das auch immer so gemacht, wenn ich am einfachen Anschlag gefräst habe (was aber eher selten vorkam).
Der Vorteil beim Fräsen mit Führungsschiene ist ja vor allem die m.E. nach einfachere und flexiblere Feineinstellung, vor allem wenn man Nuten fräst die breiter sind als der Fräser. Der Nachteil ist, dass man ne größere Auflage für die Schiene braucht.
Das es Fräsen gibt, bei denen das Ganze exzentrisch angeordnet ist weiß ich zwar nicht, aber ich glaube die normalen Fräsen sind alle so aufgebaut. Wäre für mich jedenfalls unlogisch wenn die Rundungen nicht mit dem Fräser auf einer Achse liegen würden. Na ja, vielleicht gibt s ja auch Sonderfälle.

Liebe Grüße, Mario!


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